Regula Ehrliholzer

Regula Ehrliholzer wurde in Luzern geboren, ist in Aarau aufgewachsen und lebt heute in Zürich. Sie ist Autodidaktin, studierte Geografie, Kartografie und Fotografie. Sie arbeitet als Gestalterin im Bereich der visuellen Kommunikation bei dreh gmbh und ehrenamtlich als Kuratorin für den Kulturverein «Kassette».

Fotos der Ausstellung

Aufenthalt

03.04. - 25.06.2023

Formen des Obsoleten

 

 

Regula Ehrliholzer wurde in Luzern geboren, ist in Aarau aufgewachsen und lebt heute in Zürich. Sie studierte Geografie, Kartografie und Fotografie und spezialisierte sich dann auf Webdesign und visuelle Kommunikation. Sie arbeitet als Gestalterin und Szenografin bei dreh gmbh und drehreform.

Die Szenografin merkt man ihrer Ausstellung an, die nicht nur das ganze Haus in allen seinen Räumen bespielt, von der Küche über das Badezimmer und den Schlafraum bis in die Ateliers beider Stöcke, sondern auch noch den Aussenraum (die ehemalige Waschküche und sogar den Garten). So vielfältig wie die Räume sind auch die Techniken und Formate: von der Rauminstallation zum Diorama und zur Filmprojektion mit Musik, von Bildern, die Malerei, Fotografie und digitale Bildbearbeitung vereinen zu Textildrucken und Hinterplastikmalerei. Die Künstlerin kombiniert Tusche mit Akryl, Kreide und Graphit, sie druckt mit einer Rolle auf Leinwand, sie klebt Collagen und Halbreliefs, sie malt mit Tipp-Ex auf Papier, inszeniert objets trouvés und gestaltet Leporelli.

Bei aller Vielfalt gibt es eine thematische Klammer der Ausstellung, die im Titel genannt wird: «Formen des Obsoleten». Was ist obsolet? Ein Kartonschild gibt Auskunft: «nicht mehr gebräuchlich, nicht mehr üblich, veraltet, überflüssig, abgenutzt, hinfällig». Regula Ehrliholzer erzählt ein Beispiel: «Wenn an meinem Postfach in Bedigliora ein Zettel mit «Pacco» hängt, weiss ich, dass in der Bibliothek ein Paket für mich bereitliegt. Sobald ich das Paket abgeholt habe, wird der Hinweis obsolet, ich brauche den Zettel nicht mehr. Was tue ich nun damit? Ich kann ihn aufbewahren, dann wird er Erinnerung, ich kann ihn wegwerfen, dann wird er Abfall, oder ich kann ihn recyclen, dann wird er Rohstoff.» Die Frage ist also nicht nur, was obsolet wird und warum, sondern auch, wie wir damit umgehen. Diesen Fragen geht die Künstlerin im Kleinen wie im Grossen nach, im Intimen wie im Politischen, in der Kultur wie in der Natur. Sie geht vom Altpapierzettel aus und landet beim Weltraumschrott, sie befasst sich mit kaputten Dingen, mit nicht mehr benutzten Räumen, stöbert in Flohmärkten und Schrotthaufen, steigt in Höhlen und in stillgelegte Bergwerke wie die alte Goldmine von Sessa. Ihre Inspiration wird häufig auch von der Lektüre geweckt. In Bedigliora las sie unter anderem Robert MacFarlanes Buch Underland, in dem er beschreibt, wie Bäume miteinander kommunizieren. Als sie auf dem Monte Bedeia gefällte Bäume sieht, fotografiert sie die Wurzeln, die nun auch obsolet geworden sind. Das Motiv zieht sich weiter durch ihre Arbeit: Ein auf dem Schrotthaufen gefundenes Sägeblatt wird im Diorama zur Platte, die sich auf dem Plattenteller dreht, auf dem ein Ästchen die Nadel hält, die darüber kratzt. Aus der Kommunikation zwischen Bäumen wird für uns ein mysteriöses, unverständliches und etwas unheimliches Krächzen.

Fantasievolle Einfälle und ungewohnte Kombinationen der Künstlerin bringen zum Lachen, lassen einen aber auch nachdenklich zurück. Es geht im wahrsten Sinne um die «letzten Dinge». Wir Menschen, die gerne alles neu kaufen und Altes achtlos fortwerfen, sind selbst ja auch dem Altern und Sterben unterworfen. Und vielleicht wird die Menschheit als Ganzes bald obsolet auf der Erde? Regula Ehrliholzer befasst sich nicht nur mit der Thematik des Obsoleten, sondern setzt sie auch im Schaffensprozess um: Sie malt häufig mit Restfarben und setzt früher verwendete Objekte ein, statt sie wegzuwerfen. So entstand eine Serie mit Formen rostiger Gegenstände, die sie gefunden hatte. Wofür sie einst gebraucht wurden, ist häufig nicht mehr ersichtlich – in Regula Ehrliholzers Werken lösen sie sich von ihrem Zweck und werden zur ästhetischen Präsenz. Dabei lässt sie sich gerne überraschen und überlässt sich dem Schwung der Serie, an der sie arbeitet, ohne gross zu planen – dies als Gegenpol zu ihrer strukturierten Konzeptarbeit als Grafikerin.

Manche Auseinandersetzungen mit dem Obsoleten sind direkt mit der Casa Atelier verbunden: Als sie in der Küche eine Liste mit kaputtgegangenen Gegenständen des Hauses findet, zeichnet sie diese nicht mehr vorhandenen Objekte aus ihrer Vorstellung und verbindet sie mit der sprachlichen Spur, die sie hinterlassen haben. Eine Herkules-Arbeit verrichtet sie in der alten Waschküche, die sie komplett ausräumt und putzt. Einige der gefundenen Gegenstände animiert sie für den Kurzfilm «Auszug aus dem Waschhaus», der nun in ebendiesem alten Raum zu sehen ist: zu Musik setzen sich die rostigen Gegenstände in Bewegung und tanzen aus der Vergangenheit in die Zukunft – ein wunderbares Bild für die Casa Atelier, aber auch für unser menschliches Dasein: Möge es uns als Menschheit und als einzelne Wesen vergönnt sein, unser rostiges Tanzbein mit der gleichen Vitalität zu schwingen, die Regula Ehrliholzer uns in ihren nachdenklich-humorvollen Werken übermittelt.

 

Ruth Gantert