Rudolfine P. Rossmann

Rudolfine P. Rossmann wurde 1958 in Klagenfurt geboren. Sie studierte Malerei an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. 1998 erhielt sie den Bauholding Förderungspreis für Bildende Kunst. Sie reiste durch Südostasien und verbrachte mehrmonatige Aufenthalte in Bali und Sulawesi, Indonesien. Es folgten weitere Arbeitsaufenthalte in Holland, New Mexico und Arizona, dann in China und Indien. Die Künstlerin lebt heute in Wien.  

Sovrapposizioni

Aufenthalt

01.10. - 31.12.2019

Sovrapposizioni

Rudolfine P. Rossmann, Sovrapposizioni                            

„Von Natur umgeben“ hiess ein Titel, den Rudolfine Rossmann für die Ausstellung in Erwägung zog. Vom ersten Tag an ist sie begeistert von der Landschaft, die sie umgibt. Die Weite des Blicks in die Natur, auf die Hügelketten und die fernen Berge, hat es ihr angetan. Und auch die Natur in ihrer unmittelbaren Nähe, im Garten vor dem Haus: die raschelnden Palmwedel, die Glyzinien, die feinnervigen, goldgelben Ginkgo-Blätter mit ihrer Zitterstruktur, die Vögel und Insekten. Ganz wichtig sind der Künstlerin die flüchtigen Momente, die sie beobachtet: das wechselnde Licht, die Nebelschwaden, die sich überlagern und momentweise auflösen, sodass Formen auftauchen und wieder verschwinden. Sehr genau registriert sie Veränderungen, Bäume und Sträucher, die man schneidet, die sich verfärben oder kahl werden, deren nasse Rinde leuchtet oder matt mit der Dämmerung verschmilzt.

Wo findet sich dies alles in ihrer Kunst? Natürlich stellen die Bilder nicht eins zu eins dar, was die Künstlerin sieht. Sie bildet keine Gegenstände ab, sondern befasst sich mit Eindrücken, die sie faszinieren. In Amerika waren das Luftspiegelungen in der Wüste, die die Sicht verpixeln: Sie schuf daraufhin grosse, aus aneinandergefügten Punkten bestehende Bilder. In Arabien war es so trocken, dass Flächen barsten und sich aufsplitterten. Da entstanden Craquelage-Bilder, die sich mit den geborstenen Strukturen, mit den Rissen befassen. In China arbeitete sie mit dem Pinselabdruck auf Chinapapier, der sich je nach Druckkraft und Farbmenge verändert.

Und in Bedigliora? Die Natureindrücke sind durchaus präsent: Wer sie kennt, sieht den Monte Rosa, die Hortensiendolden oder die Formen sanft geschwungener Hügel, sich überlagernder Bergketten. Wichtig ist aber nicht, etwas Figürliches zu erkennen, für die Künstlerin zählt die Atmosphäre, der Rhythmus der Formen und Farben. Rudolfine Rossmann arbeitet nicht wie in Wien mit Eitempera auf Leinwand, sondern mit Wasserfarben auf Papier. Sie legt verschiedene Schichten übereinander, bringt Flächen in Beziehung, grenzt sie ab oder lässt sie ausfransen. Linien verlaufen scharf oder wolkig, mit dem Pinsel wäscht sie die aufgetragene Farbe wieder aus, legt neue darüber. 

Wenn die Künstlerin ein Bild anfängt, hat sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie es aussehen soll. Aber Vieles geschieht im Moment, beim Malen kommt sie in einen Fluss, aus einem Pinselstrich ergibt sich der nächste. Sie spricht von „kontrolliertem Zufall“. Manchmal lässt sie die Bilder stehen und legt dann plötzlich in einem besonderen, kraftvollen Moment eine neue Schicht darüber. Wann ist das Werk fertig? „Es ist eine Gratwanderung – und es kann auch schiefgehen“ sagt sie dazu. Der vorhergehende Zustand des Bildes geht in der Überarbeitung unwiederbringlich verloren. Was, wenn er besser war als der neue? Gerade dieses Risiko erzeugt aber auch die schwebende Spannung ihrer Bilder.   

„Sovrapposizioni“ heisst die Ausstellung, und Überlagerungen finden sich hier auf verschiedenen Ebenen: Wie Hügel, Berge, Himmel vor dem Fenster legen manche Bilder von unten nach oben eine Folge von Motivbändern aus. Bei anderen überlappen sich die Farbflächen auf dem Papier, so dass in den sich überschneidenden Zonen neue Töne entstehen. Es überlagern sich aber auch die Eindrücke des täglich Beobachteten, wie es in den kleinen, tagebuchartigen Blättern gut zu sehen ist. Unsere Erinnerungen bedingen und beeinflussen unsere aktuelle Wahrnehmung. Umgekehrt verändern neue Erlebnisse und Gedanken die Art, wie uns vergangene Ereignisse erscheinen. So wie aufeinanderfolgende Erfahrungen einander nicht ersetzen, sondern ergänzen und aufs Wesentliche konzentrieren, so schaffen auch Rudolfine Rossmanns Bilder eine konzentrierte, energiegeladene Verdichtung – in den Worten von Ingeborg Bachmann eine „gestundete Zeit“. 

 

 

Bedigliora, 14.12. 2019, Ruth Gantert